ruhende Zeit
Am Montag ist es soweit. Meine Tochter fährt für vierzehn Tage nach Spanien. Ich nehme mir die Zeit, um mit ihr einzukaufen. Junge Damen brauchen wichtige Dinge des täglichen Gebrauchs, das ihr auswärtiges Überleben sichert. Deswegen erklärt sie mir sehr glaubwürdig, mindestens drei Paar Schuhe, sieben T-Shirts und drei Hosen zu benötigen. Ihre vier Monate alten Klamotten seien ja nun vollends alt und abgenutzt. Zur Krönung: auch noch unmodern. Genauso verhält es sich mit den vorhandenen Jacken. Diese Logik erschreckt mich etwas. Was heißt erschreckt, muss ich mich eventuell schämen? Hastig schaue ich an mir herunter. Die Jeans, die in den letzten drei Jahren zum Vertrauten mutierte, sieht verwaschen aus. Bin ich out? Unmodern? Alt? Wo ist die Zeit nur geblieben? Dabei bin ich stolz darauf, eine passende Hose über die Jahre zu tragen. Da meine Gehirnzellen sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigen, kaufe ich ihr mehr Kleidungsstücke als nötig. Insgeheim ärgern mich die hohen Kosten, die mein Budget erheblich schmälern, doch ich genieße die Zeit mit ihr. Erledigt sind somit auch meine Unmodern-Alt-Fragen. Naja, was tut Mutter nicht alles für ein strahlendes Mädchengesicht, beruhige ich mich. Innerlich frohlocke ich, bald vierzehn Tage für mich zu haben. Das ist Urlaub der besonderen Art. Die Zeit kann ich in Ruhe für mich verplanen und einteilen, ohne Rücksicht zu nehmen. Gedanklich stimme ich mich auf Wellness, gemütliche Spaziergänge, abendliche Ausgänge mit Freunden, dahinlümmelndes Sofabesetzen und Lesen ein. Herrlich! Endlich Zeit und Ruhe für mich. Keine lästigen Probleme, die mein Nachwuchs täglich aufwirft. Keine zickenden Streitereien, die meine Nerven unnötig belasten. Kein ständiges Telefon- und Türgeläut. Das anstrengende Kochen und Einkaufen fällt ebenso weg, wie das Sorgen und Hetzen. Montagmorgen, 7 Uhr. Mist! Wir haben verpennt. Oh, herrjemine, das ist jetzt nicht wahr. Aufgeregt wecke ich sie. »Los! Aufstehen, mein Stern. In einer halben Stunde fährt dein Bus ohne dich.« Verschlafen, verträumt und unglaublich niedlich wirft sie mir einen verständnislosen Blick zu und reibt sich die Augen. Meine Lütte, seufzt mein Herz. Auf einmal hellwach, hüpft sie aus dem Bett. Das Verschlafene weicht einem Meckerredefluss. Sie muss noch dies und das und jenes und alles. Bei ihrem chaotischen Verhalten springt eine Hektik auf mich über, die meine Beine eiliger in die Küche laufen lassen, um Frühstück auf den Tisch zu bekommen. Ungewaschen, ungekämmt und gesichtsgestresst hetze ich ins Auto. Mein Kind sieht übrigens, wie frisch aus einer Modezeitschrift entsprungen aus. Gerade noch rechtzeitig erreichen wir den Busbahnhof. Für ausgiebiges Verabschieden fehlt die Zeit. Flüchtig küsst sie mich, drückt sich kurz an meinen Oberkörper und hinterlässt ein paar Worte. »Mama, genieße die Zeit ohne mich. Ich hab dich lieb. Tschau.« Der Bus fährt los. Lächelnd winke ich ihr hinterher. Weg ist sie, einfach weg. Mir wird kalt, ich schlinge die Arme um meine Mitte. Der Wind sorgt für Tränen in den Augen. Langsam fahre ich nach Hause. Zeit! Zeit für mich! Zeit für mich? Wo ist der Unterschied zwischen Ruhe und Zeit? Was mach ich jetzt? Jetzt habe ich Zeit, nur keine Ruhe. Ich lege mich aufs Sofa, mir ist immer noch kalt. Der Wind hört nicht auf, mir in die Augen zu wehen.
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