tränendes Herz

Das Gehölz unter seinen Füßen knackt bei jedem Schritt. Wachsam schaut er in jede Richtung. Zwischen zwei Ahornbäumen entdeckt er einen Sonnenhut. Auf Zehenspitzen schleicht er zum Baum und versteckt sich hinterm Stamm. Er riskiert einen kurzen Blick auf eine weitläufige Wiese. Das ist Iris, erkennt er geschockt. Viele, viele Jahre hatte er sie nicht mehr gesehen, doch sie war kaum verändert. Wie eh und je kann er seine Augen nicht von ihr lassen. Wie oft sehnte er sich nach ihrem Geruch, nach ihrer Weichheit, ihrer Zartheit und ihren unglaublichen Augen. Solche Frauenaugen waren ihm nie wieder begegnet. Wie würde sie reagieren, wenn sie ihn sieht, grübelt er besorgt. Vielleicht schmeißt sie sich auf den Boden oder, was noch schlimmer wäre, sie verliert ihren Kopf. So ein Mist, flucht er lautlos, er kann sie doch nicht einfach anquatschen, als sei nie irgendetwas vorgefallen und wie soll er sich aus dieser misslichen Lage befreien? Er ist doch auch nur ein Getriebener, der ihr wehtun wird. Einmal noch zu ihr schauen, genehmigt er sich und stibitzt seitlich am Baumstamm vorbei. Sie ist weg! Herrjemine, ihr ist etwas zugestoßen. Besorgt verrenkt er sich, um besser sehen zu können. Auf einmal entdeckt er Iris im Gras liegend. Um sie herum ist alles rot. Blutgras, schießt ihm durchs Gehirn. Flucht, Reißaus. Flüchte, spornt er sich an. Flucht? Kein guter Plan, das wäre unterlassene Hilfeleistung. Unkontrolliert fröstelt er, wobei er sich ziemlich hilflos fühlt, als er ein Glöckchen hört. Natürlich ist ihre blöde Freundin in der Nähe, doch er will nicht bösartig denken. Im Grunde genommen rettet sie ihn gerade, ohne es zu wissen. Aber mit der fetten Henne setzt er sich nicht auseinander, nimmt er sich vor und tritt willig seinen Rückzug an. Bei jedem Schritt knackt das Gehölz unter seinen Füßen.
»Was soll das? Nun mach schon«, flüstert sein Bruder.
»Nein, ich bin zu früh. Zwei Wochen warte ich noch«, verteidigt er sich.
»Zögere es nicht heraus. Du hast keine Wahl«, erinnert der Bruder.
»Ich kann woanders anfangen«, widerspricht er.
»Du bist so weich wie deine Zeitlosen«, spöttelt der Bruder.
»Kann ja nicht jeder so hart sein, Winter. Mir tränt das Herz«, entgegnet er.
»Darüber reden wir später. Jetzt mach hinne, Herbst, ich bin verabredet«, drängt Winter.

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                         Teufen

 

Wenn der Regenbogen
mir doch folgen möge,
dann könnt er in der Nacht,
mich nach oben tragen,
statt nur zu seufzen:
»Das haste nun vom Teufen.«
Teufen: Herstellung eines Schachtes von oben nach unten
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Lärcherei 
Seit
dem ersten
Zapfenstreich
träumte ich von
weiten Fahrten, mich
frei zu fühlen beim Welt-
umrunden und natürlich von
den Heldentaten, die ich locker
überstand, denn ich war ein Pirat,
ein guter. Ich sehnte mich zu den blauen
Ästeadern. Wollte nicht mehr unter Mutters
schützendem Dach, mit ihrer liebenden Wacht,
leben. Ich wuchs, wuchs ziemlich schnell, um eher
fortzugehen. Alles gab ich für
mein erwähltes Ziel. Dann be-
suchte uns eine Koryphäe, ein
Meister seines Handwerks, um
die Stärksten auszuwählen. So
raschelte ich gekonnt mit den
Nadelblättern, bis er mich sah
und mir begeistert Abenteuer
versprach, die dem Märchen
glichen aus meinen Kindertagen. Dafür ließ ich mich zersägen, ertrug die Schmerzen, wollte tapfer wie Mahagoni sein, leider war ich eine Lärche, doch wir wurden ein Pärchen. Nachdem ich den letzten Schliff bekam, sollte die Taufe folgen. Die Sektflasche schoss auf uns zu. Ich erschrak und rief: »Leinen los.« Mahagoni starrte mich an: »Kein Problem, wohin soll's gehn?« Reflexartig rutschten wir den Stapel herunter. Die Flasche schäumte vor Wut, bevor sie zersprang. Wir schaukelten heftig als die Wellen gegen uns brachen. Unvorbereitet traf mich die Gischt, die meine Antwort schluckte. Dennoch schlich, neben dem Hustenreiz, der mich ergriff, die Sehnsucht über mich hinweg. »Im Norden kannst Du einmalige Lichter sehen«, flüsterte sie. Aufgeregt ruckelte ich hin und her. »Mahagoni, ich will in den Norden«, verlangte ich, während wir den Hafen passierten. »Aber natürlich, Schlauberger, nimm das Ruder«, parierte Mahagoni schnippisch. 

Führungslos trieben wir aufs Meer. »Ich weiß den Weg nicht«, gestand ich aufgebracht. »Außerdem ist mir schlecht.« Der letzte Sonnenstrahl spiegelte sich in den Wellen, als ich mich erbrach und eine dunkle Stimme vernahm. »Ich meistere die Strecke und führe euch zu den Polarlichtern«, versprach sie. »Wer bist du denn?«, mischte sich Mahagoni ein. »Ich bin die Rudereiche. Sag mal, kennst du mich etwa nicht?«, empörte sich die alte Eiche. »Doch, doch«, beschwichtigte ich. »Etwa die Ausrangierte?«, meckerte Mahagoni unbeirrt. »Sie päppelten mich auf für diese letzte Reise, obwohl ich mich Fit fühle«, verteidigte die Eiche sich. »Außerdem«, warf Fichte ein, »fehlt uns der Kapitän und Eiches Erfahrung gibt mir Sicherheit.« Beschwörend sah ich Mahagoni an, wobei ich aus den Winkeln meiner Maserung etwas entdeckte. »Was ist das?«, fragte ich erstaunt. »Ein hässliches Plastik Schiff und es sieht aus, als ob es uns rammt. Tz, die sind einfach zu blöde für Ozeane und gehorchen dem Chef wie Beiboote«, gab Teak preis. »Ich hab Angst«, kreischte Fichte. »Aber - aber – hallooo, was tun wir?«, stotterte ich entsetzt. »Ausweichen«, beruhigte Eiche uns. »Teak, wir steuern Backbord.« Schmunzelnd zwinkerte Eiche mir zu. »Eye, eye, Eiche, die übliche Taktik?«, will Teak wissen. »Naturellement«, bestätigte Eiche. Ruckartig fielen wir auf die linke Seite. Plötzlich hörte ich ein schallendes Tuten und zuckte zusammen. »Lärche, entspann dich, das ist nur unser Nebelhorn«, versicherte Mahagoni mir amüsiert. Rasant rauschten wir an unserem Gegner vorbei. Tatkräftig half ich mit und fühlte mich wie ein Held. Ja, das war ein Abenteuer, doch es ging noch weiter….

 

Baumfabel :)
Die Lärche war Baum des Jahres 2012 in Deutschland.

 

 

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                   Erwach(s)en

neugierige Augen, mit
unsicherem Blick,
forschend Erkennen
schüchtern gesenkt

weicher Mund, mit
mutigen Worten,
kämpfend Befreien,
lächelnd verzogen

ruhige Hand umfasst
ein Maiglöckchen,
kein Zittern, doch unruhig
der Blick nach Halt

ich sehe dich und
gehe mit, lasse
dich nicht im Stich,
was dich trifft, das 

trifft auch mich

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                         Flanieren

Staunend ging ich durch die Gassen,
Klinker, Pflaster, selbst die Kübel,
grau und rot sah ich in Massen,
da geriet ich schwer ins Grübeln.

„Kalt ist’s“, hörte ich mich klagen,
ich vermisste Flair und buntes,
plötzlich flog ich in den Laden,
jemand schimpfte: „sowas Plumpes.“

Ganz gedankenarg im Shop,
sah ich Glas auf Chrom im Neonlicht,
schrie mein Spiegelbild laut "Stopp",
jetzt zu fliehen war meine Pflicht.

Ich flitzte hastig in den Park
und wollte lieber grünes atmen.
Vier Bäume standen im Quadrat,
für wahr, was waren das für Taten?

Bei einer Buche lag der Schnitt,
sie war geformt wie ein Trapez,
ich fragte mich, ob sie sehr litt
und raunte überrascht, „herrje.“

Dann fand ich endlich einen Brunnen,
aus altem Stein, der roch nach Moos,
für mich die Wohltat nach dem Rennen,
da setzte ich mich ganz grandios.

Den Blick ließ ich sehr locker schweifen,
bis auf die Zeichnung an der Wand,
so schrill, als könnte sie mich greifen.
Ich las den Satz am linken Rand:

‚fuck you assi‘. „Donnerlüttchen“,
lobte ich verblüfft, „der kann das.“
Es wehte ein vertrautes Lüftchen,
doch irgendwie sprach alles anders –


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Kreis

 

                         fang, um anzufangen

                     komm, um zu bekommen

                      bleib, um dranzubleiben

jage, um nachzujagen

 

  nein, du kriegst mich nicht,
  sprach das ende zum anfang

 


 

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Rituale 


„Hi, Lieblingsmama“, werde ich begrüßt.

Sofort schaltet sich misstrauisch mein Hinterstübchen ein:

„Na, mein Großer.“

Er ist 15 Jahre alt. Normalerweise begrüßt er mich nur so, wenn ich ihm Geld geben soll oder er etwas plant, bei dem er meine Erlaubnis benötigt. Er strahlt mich mit einem Lächeln an, dem ich nicht widerstehen kann. Das ist wie mit Schokolade, oder Schwarzbrot mit Schinken, Tomate und Gurke. Ich sage doch nicht nein zu sowas. Einen roten Teppich rollt er für mich aus und nun wartet er, bis ich ihn betrete. Heute nicht, mein Großer, überlege ich, heute nicht und lege eine etwas genervte Tonlage in meine Stimme:

„Was hast du vor?“
„Mama, ich finde, wir sollten uns ab heute anders begrüßen. Ich zeige dir, wie es geht und du chillst dabei.“

Ja, denke ich, Mama chillt, klar doch, wo ich noch viel vorbereiten muss für eine Kollegin, die ich anlerne. Essen kochen, saugen, Kaninchen füttern, von Gartenarbeit mal ganz abgesehen, schießt mir spontan durch den Kopf. Mein Sohn steht vor dem riesigen Bügelwäscheberg, auf den ich schiele. Als er meine Unaufmerksamkeit bemerkt, fordert mich auf, ihm zuzuhören. 
„Also, die rechte Hand zusammendrücken, von oben nach unten die Handkanten aufeinander hauen, dann von unten nach oben und dann nochmal von oben nach unten. Die Handknöchel einmal bei dem Anderen gegenticken. Danach die Hand zu einer Art Pistole formen, mit dem Zeigefinger aufeinander zeigen, das linke Auge zwinkern lassen und einmal mit der Zunge schnalzen.“

Mein Kopf schnalzt auch, aber es geht noch weiter.

„Die Hände umeinander haken, leicht den Gegenüber heranziehen und nur mit der rechten Schulter berühren, um mit der linken Hand leicht auf das Schulterblatt zu klopfen.“

Mein Hirn klopft:

„Wo ist die Gebrauchsanleitung, damit ich kurz üben kann?"

Er lacht mich an:

„Du kannst das ohne."

Ernsthaft stell ich mich der Herausforderung. Immerhin repariere ich Fahrräder, schließe Lampen an, fülle die Heizung auf, bohre, überbrücke Autos, tapeziere und kümmere mich um alle Belange der Kinder und unseres Heimes, bestärke ich mich.

„Ich übe kurz im Schlafzimmer", versichere ich ihm.

Nach ein paar Stunden Selfservice, bei dem ich merkte, dass meine Motorik dann und wann wirklich mangelhaft zu sein scheint, stelle ich mich meinem Sohn. Wir schauen uns an ohne zu lächeln, möglichst cool soll es wirken.
Fieberhaft denke ich an jeden Begrüßungsschritt, schlage meine Handunterkante auf seine Obere. 
„Was machst du?“, schimpft er.

„Wieso? So hast du es doch erklärt“, entgegne ich verblüfft.

„Also, ich komme auf dich zu, und du darfst nur von unten nach oben schlagen. Das ist immer so. Wenn du auf mich zukommst, dann kannst du von oben schlagen“, erinnert er.

Mein erschlagener Kopf qualmt. Ergeben füge ich mich seinen Anweisungen. Unsere Prozedur fängt von vorne an. Er kommt auf mich zu, sofort haue ich von unten nach oben. Die nächsten Handschritte folgen, wobei ich Angst um meine Knöchel entwickle. Jetzt die Pistole, dann das Verhaken der Hände und die Schulterberührung. Kräftig ziehe ich ihn an mich heran, als ich mich vorwärts bewege. Er prallt an mir ab, bevor er gegen die Wand fliegt. Geschockt sehe ich ihn an. Kopfschüttelnd rappelt er sich hoch und geht an mir vorbei:

„Besser ist, wenn wir nichts an der Begrüßung ändern."


„Gut, dann umarme ich dich weiterhin."„Aber nur, wenn keiner meiner Freunde dabei ist“, flüstert er mit einem strafenden Blick.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alt hat Charakter ;-) manchmal zumindest